Ich meine, Frau Newerla hat recht. Die als einziges Ideal favorisierte 1:1-Dauerglücksbeziehung wird gelegentlich überschätzt, weitere Beziehungen und Freundschaften werden unterschätzt.
Wie sehr ihr das?
Wir machen uns in unseren Liebesbeziehungen etwas vor, sagt die Soziologin Andrea Newerla und fordert einen neuen Umgang mit Intimität. Wie der aussehen soll – und was wir ihrer Meinung nach falsch machen.
Frau Newerla, Sie kritisieren ganz grundsätzlich die Art und Weise, wie wir Liebesbeziehungen führen, und fordern ein „Ende des Romantikdiktats“. Was meinen Sie damit?
Wenn wir groß werden, erfahren wir von der Liebe in romantischen Geschichten. In Märchen und Disneyfilmen, in der Literatur, in Hollywoodfilmen wie „Bridget Jones“ und sogar in Blockbustern. Denken Sie nur an James Bond. Diese Liebesgeschichten haben alle ein ähnliches Skript. Sie erzählen von dieser besonderen Person, die man zufällig trifft, in die man sich verliebt und mit der man dann bis ans Ende seiner Tage glücklich ist. Hat man diese Person gefunden, wird alles andere unwichtig. Dabei entspricht das überhaupt nicht der Realität.
Ob wir in Beziehungen leben oder nicht, wir alle haben ein Bedürfnis nach Nähe, das wir stillen müssen. Ohne dass ich es in Worte fassen konnte, fühlte ich mich, wenn ich bei Sylvia und ihrer Familie am Liepnitzsee war, nicht so sehr auf mich und mein Leben allein zurückgeworfen.
Wenn man allein lebt, sind es oft Freundschaften, solche wie die zu Sylvia, die das Zentrum des Lebens bilden. Es sind Freundschaften, die mein Leben strukturieren. Es sind Freundinnen und Freunde, mit denen ich es teile. Es wird so viel über die große Erzählung der romantischen Liebe geschrieben, es werden so viele Filme über sie gedreht und so viele theoretische Erklärungsgebäude für sie errichtet, dass wir andere Erzählungen von Nähe und Intimität häufig außer Acht lassen oder ihnen nicht jene Bedeutung beimessen, die ihnen zusteht. Selbst wenn sich keine dauerhafte Liebesbeziehung einstellt, selbst wenn wir keine Familien gründen, selbst wenn wir allein durchs Leben gehen: Fast immer führen wir Freundschaften. Und für viele von uns gehören sie, wie die Philosophin Marilyn Friedman unterstreicht, zu den unumstrittensten, beständigsten und befriedigendsten aller engen persönlichen Bindungen.
https://betreutes-lieben.de/uncategorized/das-ende-des-romantikdiktats/